Offener Brief zur neuen Skulptur vor dem Lorettobad

Seit Juni 2021 steht vor dem Lorettobad die Holzskulptur „Loretta – von Keuschheit und Begehren“ des Künstlers Thomas Rees. Sie wurde vom Verein „Freunde des Lorettobades“ gestiftet und bildet die Figuren Pan und Syrinx aus der griechischen Mythologie ab. Diese mythologische Erzählung beschreibt, wie Syrinx vor Pan fliehen muss und sich in ein Schilfrohr verwandelt, da ihre Zurückweisung von Pan nicht akzeptiert wird.

Situationen wie diese, sind für Frauen* und als weiblich* gelesene Personen auch heute noch alltäglich: Ein Nein wird viel zu oft nicht als Nein akzeptiert. Die Zahl derer, die heutzutage von Stalking, sexueller Belästigung und Vergewaltigung betroffen sind, ist hoch. Im Jahr 2020 gab es in Deutschland rund 82.000 registrierten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und rund 20.000 polizeilich erfasste Fälle von Stalking, wobei diese Statistiken natürlich nicht die Dunkelziffer erfassen [1, 2]. Gegensätzlich zu den Behauptungen des Künstlers [3] haben sich die Zeiten nicht geändert: auch wenn „die Macht der alten Götter verblichen [ist]“ [3], so ist die des Patriarchats noch nicht überwunden.

Zu der Normalisierung von sexualisierter Gewalt trägt auch eine Romantisierung von übergriffigem Verhalten in Kunst, Medien und Film bei. Das bewusste Übertreten und Ignorieren von Grenzen wird als Liebesbeweis verharmlost, bei Gewalt und Übergriffen von Beziehungs- oder Liebesdrama gesprochen.

Die Problematik der Geschichte von Syrinx und Pan war dem Künstler offensichtlich bewusst, da er schreibt: „Der Pan wurde sehr bewusst ein Teil der Skulptur. Er ist aus heutiger Sicht ein Lüstling, ein Stalker, ein Besitzergreifender, mit einem Frauenbild, das im 21. Jahrhundert eine absolute Unmöglichkeit darstellt. Von den griechischen Gottheiten war er wohl dem noch einer der harmloseren. In der Skulptur steht (kauert) er stellvertretend für etwas, das keine Macht haben darf, nicht sein darf – aber offensichtlich noch immer ein enormes Problem darstellt. Die Wassernymphe Loretta hat sich über die Dominanz der Männerwelt erhoben.“ [3]

Fraglich ist dann jedoch, wieso die Darstellung von Loretta eine sexualisierende und objektifizierende Darstellung weiblicher* Körper ist. Sie entspricht einer patriarchalen Vorstellung des weiblichen Körpers, der der Befriedigung männlicher sexueller Phantasien dienen soll. Auch die Körperhaltung entspricht keiner selbstbewussten Darstellung, da Loretta ihren Körper zu bedecken versucht und damit vielmehr Keuschheit, als wie behauptet Dominanz und Freiheit [3] ausdrückt, während sie selbst dem Begehren des Betrachters ausgesetzt ist. Es gäbe so viele Möglichkeiten, eine selbstbewusste weibliche Figur, die sich „über die Dominanz der Männerwelt“ erhebt, darzustellen, ohne dabei Geschichten über sexualisierte Gewalt zu reproduzieren und normalisieren.

Dass eine solche Skulptur ausgerechnet vor dem Lorettobad platziert wird, welches durch das „Damenbad“ für viele Frauen* gerade ein Schutzort vor sexualisierenden Blicken und Übergriffen darstellt, ist mehr als problematisch. Denn es nimmt diesem Raum ein Stück weit diese Schutzfunktion, indem es Besucher*innen mit genau solchen Erfahrungen und Körperbildern konfrontiert. Dies wird durch das Wissen über den Mythos von Pan und Syrinx verstärkt, indem die Skulptur und die Debatte um diese, den Mythos auch für die Besucher*innen bekannt macht.

Daher fordern wir:

  • die Entfernung der Skulptur „Loretta – von Keuschheit und Begehren“ vor dem Lorettobad
  • sofern dies noch nicht erfolgt ist, eine öffentliche Entschuldigung durch die Verantwortlichen
  • gefolgt von einer Sensibilisierung und Auseinandersetzung zu den in diesem Brief besprochenen Problematiken

* indem wir einen Stern hinter manche Worte wie Frauen, Frau und weiblich setzen, möchten wir an diesen Stellen ausdrücken, dass es sich um eine soziale Kategorisierung handelt und Menschen, die sich in den Begriffen wieder finden, Unterschiedliches damit verbinden.

Quellen:

  1. https://de.statista.com/themen/800/sexual-und-drogendelikte/#topicHeader__wrapper
  2. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157327/umfrage/polizeilich-erfasste-faelle-von-stalking-seit-2007/
  3. http://thomas-rees.com/loretta-von-keuschheit-und-begehren/

 

Unterzeichnet von:

Gruppen

Feministische Gruppe Realitätenwerkstatt

octopussya

Fantifa

Feministische Geschichtswerkstatt Freiburg e.V.

unbeherrscht

A-Team Freiburg (Awareness-Team)

fz* Feministisches Zentrum Freiburg e.V.

SUSI gGmbH

SDS Freiburg

Personen

Sabine Graf

Rabea Hussain

Eva Albers

Lea Freudenstein

Sabine Heitmann

Hannah Baur

Feline Venjakob

Lilly Dreyer

Dorothea Schubert

Julienne Bank

Hildegard Brinkel

Stefani Mihailovic

Katrin Bauer

Fränzi Spengler

Helena Heitzer

Hannah Lax

Vera Lax

Sebastian Knopp

Moni Bürkle

Feli Wirthel

Cornell Armstrong