Redebeitrag „feministische Perspektiven in der Corona-Krise“

Einleitung

Durch die Corona-Pandemie verbrachten Väter mehr Zeit zu Hause und begannen sich aktiv in den Haushalt einzubringen. Sie hatten dadurch die Chance, mehr am Leben ihrer Kinder teilzuhaben und die Kinder hatten wiederum die Chance, ihre Väter im Alltag wahrzunehmen. Schon bald wurde in Familien eine gleiche Verteilung von Haus- und Sorgearbeit normal.

Das würden wir gerne sagen, doch leider sieht die Realität anders aus: Der Umgang mit der Corona-Pandemie verstärkt Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten gegenüber Menschen, die auch vorher Ungerechtigkeiten erfahren haben.

Wir werden an drei Beispielen zeigen, wie das passiert: einmal als Folge der Doppelbelastung durch Lohn- und Sorgearbeit, dann durch die Zunahme häuslicher Gewalt und zum Schluss gehen wir auf den Zugang zu medizinischer Versorgung ein.

Wir sprechen hier von “Frauen” und “Männern”. Es gibt viele Menschen, die sich nicht als Frauen oder Männer verstehen, was häufig zu weiterer Benachteiligung führt. Wir finden diese Kategorien falsch, weil sie uns einschränken und unterdrücken. Wir brauchen sie jedoch, um Ungerechtigkeiten zu benennen, die es in einer Gesellschaft gibt, die uns in Männer und Frauen einteilt.

Arbeitsverteilung

Viele Frauen arbeiten unter schlechten Bedingungen und mit schlechter Bezahlung in gesellschaftlich relevanten Berufen. Das sind z.B. die Pflege, der Lebensmitteleinzelhandel oder die Hauswirtschaft. Sie arbeiteten auch während der Hochphase der Corona-Pandemie weiter – und das (beispielsweise durch Mehrarbeit und Kontaktbeschränkungen im Privatleben, welche sich aus der Arbeit ergeben). Gleichzeitig waren und sind sie dem Coronavirus durch Kontakt mit vielen Menschen besonders ausgesetzt.

In anderen Berufen sind Frauen die ersten, die in Kurzarbeit geschickt oder gekündigt werden. Im besten Fall können sie von Zuhause arbeiten.

Für Familien führte die Pandemie zu enormen Herausforderungen, da die Betreuung für die Kinder weggefallen ist und immer noch nicht vollständig übernommen wird. Oft sind es die Mütter, die in hohem Maß die Kinderbetreuung schultern. Das neben der Erwerbsarbeit zu schaffen führt zu einer doppelten Belastung, die vor allem für Alleinerziehende besonders schwierig ist.

Aber auch ohne Kinder gibt es auf einmal mehr Arbeit im gemeinsamen Haushalt zu erledigen – einfach, weil mehr Menschen öfter da sind, und so mehr Schmutz produzieren, mehr essen, oder es mehr Zoff gibt. Die notwendige Sorgearbeit wird größtenteils von Frauen getragen, wie auch schon vor der Corona-Pandemie.

In der Corona-Krise werden also veraltete und ungerechte Rollenbilder, in denen Männer arbeiten und sich Frauen um den Haushalt und die Kindererziehung kümmern, wieder verstärkt.

Wir fordern, dass geteilte Sorgearbeit im Privaten zur Selbstverständlichkeit wird. Achtet auf einen gerechten, nicht-diskriminierenden Umgang miteinander und lebt Kindern einen Alltag ohne einschränkende Rollenbilder vor.

Um die Ungleichheiten in der Arbeitswelt auszugleichen, reichen keine Einmalzahlungen. Das Gehalt sollte die Wertschätzung des Jobs widerspiegeln. Ein erster Schritt ist es, den gesetzlichen Mindestlohn zu erhöhen. Während der Krise braucht es außerdem gezielt finanzielle Unterstützung für Alleinerziehende.

Häusliche Gewalt

Die Einschränkungen des beruflichen und sozialen Alltags führen dazu, mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Dies bringt auch weitere Probleme mit sich:

In Zeiten der Corona-Pandemie ist eine Zunahme von häuslicher Gewalt, auch sexualisierter Gewalt, zu beobachten. In vielen Fällen sind es Frauen*, Transpersonen oder Queers, die derartiges erfahren. Durch Ausgangssperren sind Betroffene häuslicher Gewalt vermehrt ihren gewalttätigen Mitmenschen ausgesetzt. Gewalttätige Partner kontrollieren vermehrt die Kontakte ihrer Partner*innen. Nicht zuletzt bedeutet das reduzierte soziale Leben eine Minderung an Kontaktmöglichkeiten, um Betroffene von Gewalt in ihrer Situation zu unterstützen.

Zu Beginn des Lockdowns bereiteten sich viele Frauenhäuser und Telefon-Beratungsstellen auf einen erhöhten Bedarf vor – dieser blieb aber zunächst aus, bis in den letzten Wochen die Beschränkungen wieder gelockert wurden. Dies lässt darauf schließen, dass die Ausgangssperren nicht nur häusliche Gewalt begünstigten, sondern außerdem den Zugang zu Hilfeangeboten erschwerten.

Auch Transpersonen sind so gezwungen, sich beispielsweise vermehrt in einem Umfeld aufzuhalten, das ihre Identität nicht anerkennt und dadurch psychisch belastend ist.

Wir fordern, dass die ohnehin schon überlasteten Frauenhäuser ausreichend finanziert werden. Psychologische Beratungen und Therapien sollen auch online angeboten und ohne Hürden genutzt werden können.

Medizinische Eingriffe

Die Corona-Pandemie hat zu Verschiebungen von angeblich nicht-notwendigen medizinischen Eingriffen geführt. Auch der Zugang zu medizinischen Diensten wurde erschwert. Dies betrifft insbesondere Frauen und Transpersonen.

So wurde in manchen Ländern die Corona-Krise zum Anlass genommen, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiter einzuschränken. Beispiele hierfür sind Polen und einige Bundesstaaten in den USA. Auch in Deutschland wurden weniger Eingriffe bei gleichbleibendem Bedarf durchgeführt. Die meisten Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nur straffrei, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Empfängnis vorgenommen werden – sie sind also nicht verschiebbar, und dürfen nicht als unnötiger Eingriff kategorisiert werden. Denn ein erschwerter Zugang führt nicht zu weniger, sondern nur zu unsichereren Abbrüchen.

An erster Stelle fordern wir daher die Einordnung von Schwangerschaftsabbrüchen als notwendige medizinische Leistung. Dazu braucht es mehr Mediziner*innen, die den Eingriff vornehmen können. Wir fordern daher den Ausbau der Lehre dazu im Medizinstudium. Um in Krisensituationen Engpässe zu überbrücken, fordern wir außerdem die Möglichkeit, medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche zu Hause durchführen zu können.

Transpersonen sind auf ähnliche Weise betroffen: sie müssen länger auf geschlechtsangleichende Operationen warten, entweder weil selbige verschoben wurden (da sie als medizinisch nicht-notwendig angesehen werden) – oder auch, weil der Zugang zu Gutachtengesprächen erschwert ist.

Bezogen auf die verstärkten Hürden, die Transpersonen während der Zeit der operativen Geschlechtsangleichung und rechtlichen Personenstandsänderung erleben, fordern wir, dass geschlechtsangleichende Operationen aufgrund der Selbstidentifikation von Personen von der Krankenkasse übernommen werden und, dass die bevormundenden Gutachtenpflichten für Personenstandsänderungen abgeschafft werden.

Abschluss

Unsere Forderungen sind nicht neu, doch umso dringlicher, da sich bestehende Ungleichheiten in der Krise verstärkt haben. Lasst uns gemeinsam eine Realität erschaffen, in der die gerechte Verteilung der Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern keine Utopie, sondern Alltag ist. Wir wollen die Corona-Pandemie zum Anlass nehmen, uns mit den Problemen, die durch sie deutlich werden, auseinanderzusetzen und wir werden nicht zulassen, dass die Krise dazu verwenden wird, uns alte, einschränkende Rollenbilder aufzuzwängen und Ungerechtigkeiten in dieser Gesellschaft zu verstärken.