Redebeitrag zum Safe Abortion Day am 28.09.2022

Zu Beginn unserer Rede wollen wir erstmal einem weit verbreiteten Vorurteil vorweggreifen: Viele Menschen gehen davon aus, dass alle Leute, die sich für die vollständige Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aussprechen, auch automatisch im Falle einer – ob unbeabsichtigten oder beabsichtigten – Schwangerschaft bei ihnen selbst, für einen Abbruch dieser Schwangerschaft entscheiden würden. Dies ist allerdings ein Trugschluss. Das einzige, was wir sagen wollen, ist dass kein Mensch auf dieser Erde das Recht hat, einer anderen Person diese Entscheidung im Zweifelsfall zu nehmen.

Sehr ironisch finden wir, dass besonders häufig und besonders laut die Menschen ein Verbot fordern, die selbst gar nicht gebärfähig sind. Wir verstehen nicht, wie diese Menschen es sich anmaßen können, über die Entscheidungshoheit und das Leben anderer zu urteilen, wenn sie selbst niemals in diese Lage kommen können. Das können nicht mal wir beide als gebärfähige Menschen uns anmaßen, da wir selbst noch kein Kind zur Welt gebracht haben und selbst die Menschen, die schon Kinder geboren haben, können dies nicht; das Empfinden jeder Person ist und bleibt individuell. Viele Menschen, die nicht gebärfähig sind, aber ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen fordern, scheinen oft zu vergessen oder zu ignorieren, dass es ja nicht nur um die Zeit nach der Schwangerschaft geht, wenn das Kind erst einmal auf der Welt ist. So kommt gerne das Argument: „Ja, das Kind kannst du doch nach der Geburt zur Adoption freigeben.“ Aber als ob es nur das wäre, worum es bei einer Schwangerschaft geht. Hierbei wird vernachlässigt, was eine Schwangerschaft v.a. auch für den Körper der schwangeren Person bedeutet: Meist sind schwere körperliche Strapazen sowie ggf. auch psychische Schwierigkeiten mit der Schwangerschaft und Geburt verbunden.

Dass Menschen, die selbst gar nicht gebärfähig sind, besonders viel an der Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen beteiligt sind und waren, zeigt sich deutlich am Gesetzestext. Dieser trägt eine eindeutige patriarchale Handschrift dieser Personengruppe: So ist z.B. die in Deutschland geltende 12-Wochen-Regelung völlig an der Realität von gebärfähigen Menschen vorbei. Bspw. ist es durchaus natürlich, dass die Menstruation mal einen Monat ausbleibt. Gebärfähige Menschen erleben dies des Öfteren. D.h., in diesem Zeitraum kommen manche Menschen noch gar nicht mal auf die Idee, dass sie ggf. schwanger sein könnten. Wir appellieren daher, dass gesetzliche Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg getroffen werden sollten, sondern dass diese ausschließlich von Betroffenen selbst getroffen werden sollten.

Wie sehr reproduktive Rechte patriarchal eingeschränkt sind, zeigt sich nicht nur im direkten Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch, sondern auch im Bereich der Verhütung, welcher unmittelbar an das Thema Schwangerschaftsabbruch gekoppelt ist: So sind unbeabsichtigte Schwangerschaften häufig die Folge von Verhütungsmethoden, die ohne eigenes Verschulden nicht funktioniert haben. Beispiele sind etwa ein gerissenes Kondom trotz sachgemäßer Anwendung oder das ungewollte Eintreten einer Schwangerschaft trotz Spirale. Hier zeigt sich deutlich, dass es an sicheren Verhütungsmethoden nach wie vor fast nur welche für gebärfähige Menschen gibt. Oftmals auch noch verbunden mit mehr oder weniger starken Nebenwirkungen, die aber häufig kleingeredet oder billigend in Kauf genommen werden. Solange nicht in sichere Verhütungsmethoden für Menschen mit Penis investiert wird, ist es erst recht nicht einzusehen, warum gebärfähige Menschen im Falle einer unbeabsichtigten Schwangerschaft die Leidtragenden sein sollen. Wir appellieren daher ebenfalls dafür, die Forschung in diesem Bereich wieder aufzunehmen, voranzutreiben und Anreize zu schaffen, bereits existierende Lösungen endlich auf den Markt zu bringen. Des weiteren sollte in der sexuellen Bildung endlich thematisiert werden, dass Verhütung nicht allein Sache der gebärfähigen Menschen ist. Alle Menschen tragen daran gleichermaßen Verantwortung.

Ebenfalls sehr laut in der Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche sind mindestens in Deutschland die christlichen Kirchen. Diese argumentieren besonders für den Schutz des ungeborenen Lebens. Gleichzeitig sehen sie sich ihren eigenen Worten zu Folge besonders als diejenigen, die sich in unserer Gesellschaft für die sozial Benachteiligten einsetzen, bspw. Menschen mit geringem Einkommen oder Menschen in Armut. Dies bildet einen krassen Widerspruch, da unter der jetzigen gesetzlichen Regelung zum Schwangerschaftsabbruch bzw. unter einem absoluten Verbot besonders diese Personengruppe leidet. Wenn diese Personen einen Schwangerschaftsabbruch z.B. trotzdem im Ausland durchführen lassen, kommen enorme Kosten, Zeitaufwand etc. auf sie zu. Entscheiden sie sich dafür, dass Kind zu behalten und großzuziehen, erfahren sie bspw. auf dem Arbeitsmarkt häufig große Nachteile und sind somit weiterhin auch in einer schwierigen oder sich verschlechternden finanziellen Lage.

Außerdem wollen wir noch auf einen Widerspruch im Gesetzestext in Bezug auf die verpflichtende Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch aufmerksam machen: Es könnte angenommen werden, dass wenigstens diese Beratung neutral und ergebnisoffen geführt wird. In der Praxis mag dies auch vielerorts der Fall sein, das Gesetz formuliert hier allerdings eine sehr klare Richtungsweisung: In § 219 im Strafgesetzbuch heißt es in Absatz 1 Satz 1: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.“. Dies ist schon der erste Satz, der ganz klar benennt, worauf die Beratung möglichst hinauslaufen soll. Weiter heißt es: „Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen […].“. Auch hier wird deutlich der Zweck der Beratung benannt. Im nächsten Satz schwingt sogar bereits eine leichte Schuldzuweisung mit: „Dabei muss der Frau bewusst sein, dass das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat […].“. Paradoxerweise findet sich in einem anderen Gesetzbuch, dem Schwangerschaftskonfliktgesetz, eine widersprüchliche Formulierung zum Sinn und Zweck der Beratung: In § 5 heißt es: „Die nach § 219 des Strafgesetzbuches notwendige Beratung ist ergebnisoffen zu führen […]. Die Beratung soll ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden.“ Bis zu diesem Punkt klingt die Formulierung erstmal nach dem genauen Gegenteil zu der aus dem Strafgesetzbuch. Im nächsten Satz heißt es dann jedoch wieder: „Die Schwangerschaftskonfliktberatung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens.“. Dies ist also insgesamt einerseits widersprüchlich, andererseits macht es uns fassungslos, dass nach dem Gesetz nicht einmal die Schwangerschaftskonfliktberatung vollständig ergebnisoffen und neutral geführt werden soll.

Zu guter Letzt wollen wir noch einmal ganz klar betonen: Keine Person unternimmt einen Schwangerschaftsabbruch „einfach so“ bzw. leichtfertig.

Schwangerschaftsabbrüche wird es immer geben, auch wenn sie gesetzlich verboten sind. Dazu ein passender Ausspruch: “You can’t ban abortion; you can only ban safe abortion.” Das heißt auf Deutsch sinngemäß so viel wie „Ihr könnt Schwangerschaftsabbrüche nicht verbieten oder ‚abschaffen‘, ihr könnt damit nur bewirken, dass sichere Schwangerschaftsabbrüche erschwert bzw. verunmöglicht werden und die Gesundheit und das Leben der betroffenen Person aufs Spiel gesetzt wird.“

Dankeschön!